Direkt zum Hauptbereich

Überarbeitungsfibel Teil 5: Nicht alle Adjektive sind schlecht, aber

In meiner neuen Blogreihe "Die Überarbeitungsfibel: Überarbeiten Schritt für Schritt erklärt" erzähle ich, worauf es beim Überarbeiten Deines fertigen Textes ankommt, welche Fehler Du wie finden und vermeiden kannst, und was ich immer wieder in Lektoraten finde. 
Warum überarbeiten so wichtig ist und Du Dir die Mühe unbedingt machen solltest, erfährst Du hier: 4 Gründe für das gründliche Überarbeiten

Heute: Wertende Adjektive bzw. Adverbien
Nicht alle Adjektive sind schlecht, aber ...

Manche KollegInnen verteufeln alle Adjektive. Andere sind der Überzeugung, dass nur durch sie ihre Geschichte Gestalt annehmen kann. Beides ist meiner Meinung nach Unsinn.
Wenn wir eine Geschichte erzählen, brauchen wir Wörter wie groß, klein, hell, dunkel, dick, dünn, laut, leise, gespenstisch, gefährlich, heiß, anziehend usw. Alles Adjektive, mit denen wir unsere Beschreibungen ausschmücken können. Ausschmücken - nicht bewerten. Und genau darum geht es.
Sobald wir als Autor eine Wertung dessen vornehmen, was wir erzählen, nehmen wir dem Leser ein Stück seiner Vorstellungskraft, bevormunden ihn und verdammen ihn zum bloßen Lesen. Dabei wollen wir doch, dass er Bilder im Kopf bekommt, mit unseren Figuren mitleidet, mitfiebert und alle Geheimnisse mit aufdeckt, anstatt nur "daneben zu sitzen und zuzusehen".
Sogar auf die oben genannten Beispiele kann man verzichten, wenn man sich mehr des Grundsatzes "Show, don´t teill" bedient und die Dinge umschreibt. Wenn ihr nicht so recht wisst, wie "Show, don´t tell" funktioniert, am Ende habe ich einen tollen Lesetipp verlinkt.

Stephen King sagte bereits "Die Straße zur Hölle ist mit Adverbien gepflastert" (Zitat aus "Das Leben und das Schreiben", Heyne. Ihr merkt wahrscheinlich, dass ich ein Fan des King bin. Aber ganz, ehrlich, wer könnte es besser wissen?). 
Gerade im Zusammenhang mit wörtlicher Rede stoßen sie ihm und mir gleichermaßen übel auf. Denn da kommen wir ganz schnell in den Bereich "SHOW, don´t TELL" beziehungsweise TELL. Denn mit diesen wertenden Adjektiven/Adverbien bevormunden wir den Leser und bringen ihn um die Chance, sich selbst ein Bild zu machen.

Ein Beispiel:
"Das tut mir leid", murmelte sie leise und blickte ihn reumütig an.

Gleich zwei wertende Adjektive und eins davon auch noch unsinnig, denn laut zu murmeln ist schon echt schwierig. Außerdem erzeugt dieser Satz keine Bilder in meinem Kopf.

"Das tut mir leid", murmelte sie. Eine Träne rollte ihr aus dem Augenwinkel.

Gerade bei Dialogen sollte das "Wie sich die Person fühlt" ganz klar aus dem gesprochenen Text ersichtlich sein. Wir können also getrost auf "schrie er aufgebracht" oder "sagte sie lachend" und ähnliches verzichten, wenn im diese Gefühle gesprochen Text zum Ausdruck gebracht werden. Klingt schwierig? Ist es auch. Aber gutes Deutsch und gutes Schreiben ist halt etwas, das man lernen und üben muss.
Deshalb solltest Du Deine Dialoge sehr sorgfältig durchgehen und nach Möglichkeit laut vorlesen - und dabei immer im Hinterkopf haben: Redet man wirklich so? Oder würde diese Figur so reden?

Noch ein Problem bei wertenden Formulierungen im Zusammenhang mit der wörtlichen Rede ist, dass dieser Zusatz meist erst nach dem Gesagten folgt (was auch korrekt ist, denn ansonsten wäre es ein Vorgriff; dazu komme ich später noch). Der Leser hat das Gesagte unter Umständen bereits ganz anders interpretiert und ist dann verwirrt.

"Das kann doch wohl nicht wahr sein!", sagte sie fassungslos und rieb sich müde über das Gesicht.

Ich wette, Du hast eher einen aufgebrachten Sprecher erwartet?


"Das kann doch nicht wahr sein. Nun hab ich mich schon wieder verfahren." Sie seufzte und rieb sich die Augen.

Der zweite Satz ist zwar länger, enthält aber auch mehr SHOW. Wir können sie uns bildhaft vorstellen und ahnen, dass sie in einem Auto sitzt, vermutlich sogar im Dunkeln, weil ihre Augen schmerzen, und langsam verzweifelt, weil sie schon wieder falsch abgebogen ist.

Nicht alle Adjektive und Adverbien sind schlecht! Aber viele sind tatsächlich überflüssig oder sogar störend.


TO-DO-LISTE Punkt 5:
Suche gezielt nach wertenden und überflüssigen Adjektiven und Adverbien. An welchen Stellen "erzählst" Du, anstatt zu "zeigen"? Wo spielt es keine Rolle, welche Farbe oder Größe eine Sache oder Person hat? Wo nimmst Du eine Wertung vor?

Kontrolliere in dem Zuge auch Deine Dialoge und verzichte auf allzu fantasiereiche Formulierungen wie ächzte, knirschte, nickte, ereiferte, keuchte, brach es heraus, begehrte er/sie auf, kicherte etc. als Zusatz zur wörtlichen Rede, in denen sich ebenfalls versteckte wertende Adverbien verbergen (und die zudem schlichtweg falsch sind, denn als Beispiel: "Hallo" kann man sagen, rufen, flüstern, murmeln - aber nicht winken).

Bisher hatten wir:
Gleichzeitigkeiten
Füllwörter
Passivformulierungen
Wortwiederholungen

Hier geht es weiter mit Vorgriff.

Wenn Du Hilfe brauchst, ich biete sowohl Lektorate an als auch Unterstützung beim Schreibprozess. Sprich mich einfach an. Mehr Infos zu meinem Service gibt es hier: Service für Autoren und Verlage.

Deine Sandra

Weiterführende Literatur: Show, don´t tell - Schreiben fürs Kopfkino

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Autorentipp: Normseite einrichten

Über die mangelnde Sorgfalt bei Verlagseinsendungen hatte ich ja bereits im Rahmen meiner Autorentipps berichtet ( hier geht's zum Artikel ). Heute widme ich mich aus dem Anlass dem Einrichten der Normseite. Was ist eine Normseite? Frei nach Wikipedia: Die Normseite ist eine Hilfsgröße, damit im Vorwege der Gesamtumfang abgeschätzt werden kann.  Wie ihr wisst, ist eine Buchseite nicht gleich einer DIN A 4 Seite. Um dennoch in etwa abschätzen zu können, wie viele Buchseiten das fertige Buch nachher hat, hat man sich die Normseite ausgedacht.  Muss ich mich daran halten? JA! Auch wenn es "nur" um eine Ebook-Veröffentlichung geht? JA! Auch bei Anthologieausschreibungen und Schreibwettbewerben? JA! Generell gilt: die Vorgaben auf der Verlagsseite beachten - ohne Wenn und Aber! Wie richte ich die Normseite ein? Grundsätzlich gilt: (ca.) 30 Zeilen à 60 Anschläge. Da es jedoch mühsam ist, alles durchzuzählen, kann man in den meisten Schreibprogrammen das L

Schreibtipp: Plotten leicht gemacht

Sobald man sich als Schreiberling näher mit dem Schreiben beschäftigt, stößt man unweigerlich auf den Begriff "Plotten".  Was ist das eigentlich und wie mach ich das?   Den Fragen möchte ich bei meinen heutigen Schreibtipp "Plotten leicht gemacht" auf den Grund gehen. So sah mein erster geplanter Plot zum zweiten Teil meiner Mystery-Reihe "Die Seelenspringerin" aus Der Plot ist eine erste Zusammenfassung Deiner Geschichte mit allen Höhe- und Tiefpunkten. Manche gehen da ganz detailliert Kapitel für Kapitel vor, arbeiten vorgestellte Charaktere aus und pflegen viel Hintergrundwissen ein. Andere skizzieren stichpunktartig die größten Ereignisse und Highlights. Manche halten sich beim Schreiben strikt daran, andere brauchen ihren Freiraum. Vorteil ist unbestritten, dass man schon vor dem eigentlichen Schreiben Logikfehler und lose Enden erkennen und ausmerzen kann. Nachteil ist vermutlich die Ungeduld, denn Plotten kostet Zeit.  Kai Meyer erzä

8 Tipps, wie Du an Lesungen kommst

Ich hatte ja schon darüber berichtet, warum ich denke, jeder Autor sollte Lesungen geben, nun will ich euch erzählen, wie ich an Lesungen herankomme. Mit Sicherheit gibt es da viele verschiedene Herangehensweisen, ich kann hier natürlich nur von meiner Erfahrung berichten und von dem, was ich von anderen Autoren gehört habe. Als ich anfing, mir darüber Gedanken zu machen, wo ich in Form von Lesungen mehr Interessierte für meine Nachtahn-Reihe begeistern kann, habe ich den Buchhandel bewusst ausgelassen. Aus Gesprächen mit Kollegen wusste ich, dass es sehr schwer ist, als unbekannter Autor Lesungen in einer (großen) Buchhandlung zu bekommen. Ich habe es zwar jeder Buchhandlung, in der ich mein Buch persönlich vorgestellt habe, angeboten, wahrgenommen hat dieses Angebot jedoch nur eine: die Almut Schmidt Buchhandlung in Kiel-Friedrichsort, wo ich am 16. Juli ab 19 Uhr eine Lesung gehalten habe.  Eines noch vorweg: Natürlich sollte jeder Autor für seine Arbeit (und das ist