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Leseprobe "Moonchild - Wiege der Dunkelheit"

Für alle, die vor Neugier bald platzen, habe ich hier endlich eine Leseprobe meines neuen Romans "Moonchild - Wiege der Dunkelheit" zum Reinstöbern. "Moonchild" wird übrigens der vorerst letzte Vampirroman aus meiner Feder sein und im Oktober/November erscheinen. Aber nun will ich euch nicht länger auf die Folter spannen, sondern euch in die Leseprobe entlassen:



Teil 1

Kapitel 1

Ruhe und Ausspannen, das war genau das, was Rosalie brauchte. Seit der letzten Fehlgeburt hatte sie sich monatelang mehr durch ihr Leben ge­schleppt, als es wirklich zu leben. Alles war ihr unendlich anstrengend und mühselig vorgekommen. Als würde sie sich tagtäglich durch einen zähflüs­sigen See aus Schmerz, Verzweiflung, Reue und Müdigkeit kämpfen. Bis es in einem Nervenzusammenbruch endete, von dem sie sich nun erholen wollte.
Sie hatte sich eine Ferienwohnung in Fransbori gemietet, einer hübschen kleinen Hafenstadt etwa zwei Zugstunden von ihrer Heimat Kyle entfernt. Nichts Besonderes, aber zweckmäßig und ruhig in dem malerischen Kapitänsviertel gelegen, das bekannt war für seine niedlichen Häuschen und ver­träumten Gassen. Ein Tapetenwechsel sollte den emotionalen Umschwung begünstigen. Kai unterstützte die Meinung der Ärzte und hatte alles für sie arrangiert. Noch sah Rosalie dem skeptisch entgegen, aber sie wollte nichts unversucht lassen, um ihre Lebensfreude und Energie wieder zu erlangen.
Nachdem sie sich mit einem guten Buch und einer Tasse Tee von der Rei­se erholt hatte, trieb es sie am Abend in die unbekannte Stadt hinaus und in eine Bar, die sie bei ihrer Ankunft entdeckt hatte. Laute Musik schlug ihr mit einer unruhigen Mischung aus angeregten Gesprächen und Gelächter entgegen, als sie das Lokal betrat. Es roch verraucht und ein bisschen muffig, nach zu vielen Leuten, die zu viel Sauerstoff verbraucht hatten. Rosalie suchte sich einen freien Tisch und unterdrückte das ungute Gefühl, das sie sofort beschlich, weil sie allein hier war. In einer Bar.
Es gelang ihr nicht.
Allerdings schien niemand Notiz von ihr zu nehmen. Obwohl sie ja genau das gehofft hatte, frustrierte es sie ungewollt. Aber so war das mit introver­tierten Menschen. Sie fielen selten auf. Kai war da anders. Wenn er in eine Kneipe ging, kannte er erstaunlicherweise stets jemanden oder tat zumindest so. Er war präsent. Die Leute drehten sich nach ihm um, sahen ihm entge­gen, während Rosalie durchweg übersehen wurde.
Selbst der Kellner sah durch sie hindurch und kam am Ende des Abends erst zum Abkassieren, als sie bereits aufgestanden war und ihre Jacke ange­zogen hatte.
Bevor sie hinausging, ließ sie ihren Blick noch einmal über die anderen Gäste schweifen. Weniger aus Interesse sondern eher, um festzustellen, was an ihr anders war. Warum sie immer Abseits stand. Allein.
Es waren Männer und Frauen unterschiedlichen Alters anwesend, einige Studenten, die wild miteinander diskutierten, aufgetakelte Freundinnen, die anschließend mit Sicherheit noch in die Disco gehen würden, aber auch Männer, die tagsüber wahrscheinlich Anzüge trugen, in der Bank arbeiteten und nun ein Bier nach dem anderen kippten. Alle waren gut gelaunt, man­che sogar ausgelassen, viele in Gespräche vertieft.
Nur einer saß allein.
Rosalie sah ihn lediglich aus dem Augenwinkel, als sie bereits nach der Türklinke griff. Dennoch brannte sich seine Erscheinung in ihre Netzhaut.
Er hatte lange braune Haare, ein zeitlos hübsches Gesicht und saß sehr still und aufrecht an seinem Tisch wie eine Figur, die dort platziert worden war, um gesehen zu werden. Oder der ausgelassenen Stimmung einen ruhigeren Gegenpol zu bieten. Durch den ganzen Raum voller Tische, Stühle und Menschen hinweg sah er Rosalie direkt an. Sein gelassener Blick wirkte in der Unruhe und dem lauten Leben um ihn herum seltsam entrückt und hätte besser in eine Bibliothek gepasst oder eine Kunstausstellung. Rosalie meinte, seinen Blick wie Finger auf sich zu spüren, die sie sanft zurückhalten wollten.
Doch sie hatte sich bereits abgewandt, die Tür aufgezogen und den ersten Schritt nach draußen getan, als dieses Bild ihr Bewusstsein erreichte. Es war ihr peinlich, sich nun noch einmal umzudrehen. Wozu auch? Sie war verhei­ratet. Sie brauchte keine männliche Bekanntschaft, die nur noch mehr Un­ruhe in ihr ohnehin konfuses Seelenleben bringen würde.
Noch in Gedanken an diesen merkwürdigen Augenblick trat Rosalie nach draußen und wurde mit einer so enormen Gewalt umgestoßen, dass sie zu­erst befürchtete, von einem Auto angefahren worden zu sein. Sie konnte gerade noch die Arme hochreißen, um nicht mit dem Gesicht auf dem Asphalt zu bremsen, und schrie leise auf, als ihr der Schmerz des Aufpralls von den Knien bis in die Wirbelsäule schoss.
Für einen Moment war sie vor Schreck wie erstarrt.
Als sie sich umdrehen wollte, um zu sehen, was passiert war, wurde sie jäh gepackt und auf die Beine gezogen. Ihr Angreifer – oder vermeintlicher Ret­ter – beugte sich nah zu ihr heran. Rosalie schrak zurück. Er war riesig, mehr als einen Kopf größer als sie, hatte dunkle Haare und breite Schultern. Eine undefinierbare Gefahr ging von ihm aus. Es war nicht so, dass er sie in ir­gendeiner Weise bedrohte. Seine Aura gab ihr das Gefühl, dass er gefährlich war. Vielleicht nicht unbedingt für sie und in diesem Moment. Aber den­noch gefährlich.
Seine kinnlangen Haare glänzten feucht und umrahmten ein Gesicht, in dem die stechendblauen Augen sofort auffielen. Sein Blick bohrte sich er­schrocken und wütend in sie, und Rosalie wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Ihr linkes Knie, mit dem sie den größten Schwung ihres Sturzes abgefangen hatte, knickte unter ihr weg, und sie stöhnte vor Schmerz auf. Schon hatten sie diese kräftigen Hände wieder gepackt.
»Alles in Ordnung?« Seine tiefe, herrische Stimme passte perfekt zu sei­nem Blick und seiner ganzen Haltung und sorgte nicht dafür, dass sie sich entspannte.
»Nein«, blaffte sie zurück. »Ich glaube, ich habe mir das Knie verletzt, als Sie ...«
Plötzlich schob er sie an die Häuserwand in den Schatten und horchte auf irgendetwas in der dunklen Nacht um sie herum. Sein Blick verfinsterte sich, und er presste die Lippen zu einem schmal Strich zusammen. Rosalie über­lief ein eisiger Schauer, als sie zu ihm aufblickte, die kalte Mauer wie eine un­barmherzige Gefängniswand im Rücken.

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